12.12.2005
Von F.
William Engdahl
In der politischen Landschaft Washingtons hat in den letzten Wochen
eine wesentliche Verschiebung stattgefunden: Die politische Mitte wandte sich
in immer stärkerem Masse gegen die Gruppe um Cheney, die sogenannte «Cabal»
[Intrige, Komplott, Clique, Kamarilla]. – Hier sollen voraussichtliche Richtung
und Bedeutung dieser neuen Entwicklung erörtert werden.
In
den letzten Tagen wurde deutlich, mit welcher Heftigkeit der Angriff gegen die
Gruppe geführt wird, die hier um der Kürze willen wie im Amerikanischen «The
Cabal» genannt werden soll. Die Bezeichnung stammt nicht von mir, sondern von
Lawrence Wilkerson, dem früheren Stabschef von Colin Powell. Er benutzte sie
für Cheney, dessen politischen Mentor Donald Rumsfeld, Condoleezza Rice, den
Leiter des nationalen Sicherheitsrates, Stephen Hadley, und die
neokonservativen «Falken» um sie herum, wie etwa den Direktor der Weltbank,
Paul Wolfowitz, den früheren Vizeverteidigungsminister Dough Feith, den
früheren Leiter der Verteidigungspolitik des Pentagon, Richard Perle, und den
Vizestabschef des Weissen Hauses und De-facto-Rasputin von George W. Bush, Karl
Rove, sowie Elliot Abrams.
Der Kampf wird in aller Öffentlichkeit ausgetragen, und die Stimmung ist so
explosiv geworden, dass es am 18. November zwischen Mitgliedern des
amerikanischen Repräsentantenhauses fast zu Handgreiflichkeiten kam, als der
Neuling und Republikaner aus Ohio, Jean Smith, dem demokratischen
Kongressabgeordneten John Murtha aus Pennsylvania als Antwort auf Murthas
deutlichen Aufruf zum Rückzug der US-Truppen aus dem Irak entgegnete:
«Feiglinge hauen ab, Marine-Infanteristen tun das nie.»
Noch am selben Tag verunglimpfte Cheney Murtha in der Öffentlichkeit, ein
deutliches Zeichen für die wachsende Wut und Verzweiflung, die sich im Weissen
Haus breit macht. In einer Rede vor einer Gruppe Konservativer erklärte Cheney,
Murtha verliesse der Mut, und er habe kein Rückgrat. Cheneys Angriff gegen
seinen politischen Mentor und alten Freund John Murtha folgte eine ebenso
schockierende öffentliche Verteidigungsrede für die Folter als politischer
Methode im Kampf gegen den Terror. Letztere veranlasste selbst viele
Republikaner, sich vom Vizepräsidenten zu distanzieren. Die «Falken» scheinen
unbesiegbar, solange sie den Spielverlauf kontrollieren, aber wenn das Glück
sie verlässt, benehmen sie sich gehässig und dumm.
Gleichentags griff auch der Pressesprecher des Weissen Hauses, Scott McClellan,
die offene Attacke der jetzigen Regierung gegen Murthas Vaterlandsliebe und
seinen Mut auf. Aufgestachelt durch die von Murtha eingebrachte Forderung nach
einen baldigen Termin für den Truppenabzug aus dem Irak, sagte McClellan: «Es
ist sehr erstaunlich, dass er die politische Position von Michael Moore und des
extrem liberalen Flügels der Demokraten vertritt.»
Von grosser Bedeutung für die Einschätzung des politischen Klimas ist es, dass
die Medien diesmal Bushs Angriffe auf seine Kriegsgegner nicht einfach pflichtbewusst
nachbeten. In deutlichem Gegensatz zu den letzten vier Jahren seit dem 11.
September wendet sich die Presse jetzt gegen Cheney und das Weisse Haus. Es ist
nicht etwa so, dass die Journalisten oder ihre Herausgeber nun plötzlich
«kapiert» hätten, dass die «Cabal»-Gruppe das tut, was sie tut. Die Presseleute
in Washington gehören zu den Bestausgebildetsten der Welt. Heute berichten sie
lediglich von Dingen, die sie bisher ignorierten oder von denen ihnen noch vor
sechs Monaten gesagt wurde, sie hätten sie zu ignorieren.
Warum gerade jetzt?
Es ist natürlich interessant zu fragen: Warum gerade jetzt? Die Antwort lautet,
dass die Entscheidung gefällt wurde, die neokonservative Gruppe um Bush
zurückzustutzen. Zentrale Figur bei den jetzigen Schritten gegen Bush junior
ist der frühere Berater von Bushs Vater, Brent Scowcroft. Nicht bekannt ist
bisher, welche Rolle der Vater beim Vorgehen gegen die Regierung seines Sohnes
spielt. Höchstwahrscheinlich ist er aktiv. Und zwar nicht in der Verteidigung,
sondern im Angriff auf Cheney und die Neokonservativen, die Bushs
Präsidentschaft für ihre Zwecke ausnutzen. Und wahrscheinlich ist auch die alte
Garde der CIA, die Vater Bush gegenüber loyal ist, aktiv – das heisst, dass
weit mehr dahintersteckt als das Durchsickern einiger geheimer Informationen
oder Skandale, wie die Neo-Konservativen noch immer glauben machen wollen.
Der Vorgang ist Teil einer Richtungsänderung auf der höchsten Ebene des
politischen Establishments der USA, um auf amerikanische Art Schadensbegrenzung
zu betreiben, indem man den neokonservativen Cheney-Zirkel von
Politfunktionären um Bush herum bekämpft und letztlich möglicherweise den
Präsidenten selbst, sollte er sich weigern, die Zeichen der Zeit zu erkennen.
Seit Monaten hat eine Gruppe verärgerter hochrangiger Politiker aus State
Department und CIA sowie wichtiger Militärs vor Zorn gekocht über die
neokonservative Bush-Cheney-Desasterpolitik – besonders im Irak. Der Kampf, der
während des Wahlkampfes 2004 unterdrückt wurde, ist jetzt mit voller Kraft
ausgebrochen, und die wichtigsten Medien haben sich angeschlossen.
Diese Mainstream-Medien spielen jetzt die Tatsache voll aus, dass es Dick
Cheney, als er im wehrpflichtigen Alter war, fünfmal gelang, sich um den
Militärdienst zu drücken. Der 73jährige Murtha, der für seinen Einsatz in
Vietnam mehrere Tapferkeitsmedaillen erhielt (zwei Purple Hearts, eine
Bronze-Star), wird immer wieder als einer der Mentoren des jungen
Verteidigungsministers Cheney in den frühen 80er Jahren aufgeführt: Cheney hatte
Murtha gebeten, ihm dabei zu helfen, die Militärs von sich zu überzeugen. Die
Generäle hatten nur Verachtung dafür übrig, dass Cheney dem Militärdienst
ausgewichen war.
Murtha ist einer der geachtetsten konservativen Militärexperten im Kongress und
selber ehemaliger Marine-Infanterist; niemand betrachtet ihn als Feigling oder
Anhänger der politischen Linken. Während seiner dreissig Amtsjahre unterstützte
er Reagans Politik in Nicaragua und El Salvador. Murtha war einer der führenden
demokratischen Befürworter des Golfkriegs von 1991. Er verlangt, dass die
Verfassung das Verbrennen der amerikanischen Flagge verbieten solle.
In einer Pressemitteilung aus dem Jahre 2002 bezeichnete der frühere
Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz die Unterstützung von Politikern wie
Murtha für das Pentagon als «wundervoll». Im Wahlkampf 2004 um die
Vizepräsidentschaft erklärte Dick Cheney: «Als ich Verteidigungsminister war,
war Jack Murtha einer meiner engsten Verbündeten im Kongress.» Das entsprach
der Wahrheit.
Wesentlich an der jetzigen kolossalen Fehlreaktion auf Murthas Äusserungen, die
man unter anderen Umständen einfach beiseite geschoben hätte, ist, dass sie
offenlegt, wie unfähig man im Weissen Haus ist, die sich rasch wandelnde
Stimmung im Land zu erfassen. Und die Stimmung wandelt sich hauptsächlich, weil
wichtige Medien wie die «New York Times», die «Washington Post» und
Fernsehsender sich entschieden haben, Bush und besonders die Gruppe um Cheney
jetzt unter Beschuss zu nehmen.
Dies zeigt beispielsweise die Tatsache, dass – als Reaktion auf einen
offiziellen Brief des demokratischen Senators Byron Dorgan – das
Generalinspektorat des Pentagon ankündigte, Anschuldigungen aus dem Jahr 2004
und Beweismittel gegen Cheney nun für eine allfällige strafrechtliche Untersuchung
ans Justizministerium weiterzugeben. Es handelt sich dabei um Anschuldigungen
der Aufsichtsbehörde über Vertragsabschlüsse des Ingenieurkorps der
amerikanischen Armee, die die Rechtmässigkeit der Vergabe von
milliardenschweren Aufträgen an Cheneys Halliburton-Firma zur Reparatur von
Ölfeldern im Irak durch das Pentagon in Frage stellt.
Aus Washington wird vermeldet, George Bush spreche nicht mehr mit Cheney, seit
der Skandal sich ausweitet – ein jämmerlicher Versuch, sich irgendwie von
dessen Handlungen zu distanzieren.
Die WHIG im Rampenlicht
Die Anklage von Libby rückt jetzt jene streng geheime Arbeitsgruppe in den
Blickpunkt des Interesses, die die Propaganda für den Irak-Krieg orchestrierte,
die sogenannte «White House Iraq Group» (Irak-Gruppe des Weissen Hauses), die
sich selbst mit WHIG-Gruppe bezeichnet.
Die WHIG-Gruppe wurde zuerst vom Stabschef des Weissen Hauses, Andrew Card, ins
Leben gerufen, um der amerikanischen Öffentlichkeit die Idee eines Krieges
gegen den Irak zu verkaufen. Zu deren Mitgliedern gehörten Karl Rove, Karen
Hughes (jetzt Unterstaatssekretärin für die Diplomatie [sic!] im
Aussenministerium), Mary Matalin, Andrew Card, James R. Wilkinson, Nicholas E.
Calio, Condoleezza Rice, Stephen Hadley und selbstverständlich I. Lewis (Scooter)
Libby. Es war diese Gruppe, die die Furcht vor Saddam systematisch schürte,
indem sie sorgfältig Storys in der Presse plazierte, welche auf die Gefahr
hinwiesen, die der Irak für die USA darstellte und die den Begriff
«Atompilzwolke» einführte.
Interessanterweise – und unheilvoll für die Bush-Cheney-Präsidentschaft – hatte
Lyndon Johnson eine ähnliche Gruppe zur Propagierung des Vietnam-Krieges 1967
ins Leben gerufen. Man nannte sie die «White House Information Group»
(Informations-Gruppe des Weisses-Haus), d.h. WHIG-Gruppe. Die Anklage Libbys
wegen Meineid und anderer Verbrechen hat die einst geheime WHIG-Gruppe nun zum
Gegenstand primären Medien«interesses» werden lassen.
Es hat sich herausgestellt, dass die WHIG-Gruppe hinter den allermeisten unwahren
Behauptungen bezüglich der atomaren Bedrohung stand, ein Thema, das viele
skeptische Demokraten dazu veranlasste, im Jahre 2002 für den Krieg zu stimmen.
Card hatte WHIG im August 2002 gegründet. Im September 2002 äusserte er in
einem Interview mit der «New York Times»: «Vom Marketingstandpunkt her führt
man im August keine neuen Produkte ein.» Am 17. September 2002 gab Matt Miller
im NPR-Radio an, Cards Äusserung sei als Antwort auf die Frage gemeint gewesen,
«warum wartet die Regierung bis nach dem Labor Day, um dem amerikanischen Volk
die Militäraktion gegen den Irak zu verkaufen?».
Das war WHIG in Aktion: man verwandte «Timing» und «Marketing» dazu, dem Volk
das zu «verkaufen», was angeblich eine unmittelbare Bedrohung amerikanischer
Städte durch Nuklearwaffen darstellte. Nach dem 7. September 2002 schirmten
Bush und seine obersten Berater die Luftwege ab und sprachen dabei von der
Gefahr, die der Irak darstellte. In der Sendung «Meet the Press» des Senders
NBC beschuldigte Vizepräsident Cheney Saddam Hussein, die Entwicklung von
Atomwaffen aggressiv voranzutreiben, um damit sein Lager an chemischen und
biologischen Waffen weiter zu ergänzen. Im Sender CNN gab Rice zu, dass es bei
der Feststellung, wie nahe der Irak daran sei, nukleare Waffen zu besitzen,
«immer einige Unwägbarkeiten geben wird». Sie sagte aber auch: «Wir wollen
nicht, dass der Rauch aus dem Gewehr ein Atompilz ist.»
Im Sender CBS äusserte Bush, die Waffeninspektoren seien – bevor ihnen 1998 die
Einreise in den Irak verweigert wurde – zum Schluss gekommen, der Irak sei
«etwa sechs Monate davon entfernt, eine Waffe zu entwickeln».
Am 7. September 2002 schrieb dann Judith Miller, die berüchtigte «New York
Times»-Reporterin und der Liebling der Neokonservativen, in der «Times»: «In
den letzten 14 Monaten hat der Irak um den Kauf Tausender speziell
angefertigter Aluminiumröhren nachgesucht, von denen amerikanische Beamte
glauben, dass sie als Teile von Zentrifugen zur Anreicherung von Uran dienen.»
Miller hatte sogar ein Buch zur Propagierung des Irak-Kriegs geschrieben, in
dem sie sich auf eine einzige Quelle, den Neokons-Protegé Achmad Chalabi
stützte.
Die Enthüllung der Existenz dieser WHIG-Gruppe führt dazu, dass solche Zitate
aus Datenspeichern der Medien wieder hervorgeholt und nochmals abgedruckt
werden, ein Umstand, der für die WHIG nicht sehr angenehm ist.
Zur gleichen Zeit, also am 18. November 2005, kündigte der Sonderstaatsanwalt
Patrick Fitzgerald an, dass er in dieser Woche der Anklagejury aus seinen
laufenden Ermittlungen Beweise dafür vorlegen würde, durch wen und wie der Name
und die Identität der CIA-Agentin Valerie Plame an die Öffentlichkeit gelangt
waren, und zwar wer ausser Libby daran beteiligt war, von dem verschiedene
annehmen, dass er sich opferte, um seinen Chef zu schützen. Fitzgerald liess
sich alle Dokumente des Weissen Hauses vorlegen, die mit den Diskussionen der
WHIG-Gruppe zu tun hatten. Fitzgerald hat den Stabschef Karl Rove jetzt zur
Zeugenaussage vorgeladen, was bedeutet, dass er alles andere als aus der Sache
raus ist. Und auch Rice ist offensichtlich noch nicht aus dem Schneider.
Der Star der «Washington Post» unter Beschuss
Der Star-Reporter und Autor der «deep throat»-Enthüllungen um die
Nixon-Watergate-Affäre, Bob Woodward, hat nun bekanntgegeben, dass er letzte
Woche von Fitzgerald zur Zeugenaussage unter Eid aufgerufen worden war, und er
hat zugegeben, dass ein «Regierungsbeamter» ihm im Juni 2003 Plames
CIA-Identität verraten hatte.
Fitzgeralds Büro liess lediglich verlauten, dass Woodwards Zeugenaussage die
Untersuchungen der Anklagejury zurück ins Büro von Cheney und zur WHIG-Gruppe
geführt hatten. Auf dieser Grundlage hatte Fitzgerald eine neue Anklagejury
zusammengerufen. Die Luft wird immer dicker in Washington und im Weissen Haus.
Sowohl Hadley wie Cheney sind derzeit Gegenstand der Spekulation hinsichtlich
ihrer Rolle in der Affäre mit der undichten Stelle beim CIA.
Was den ganzen Kampf noch brisanter macht, ist die Tatsache, dass eben dieser
Sonderankläger Fitzgerald in seiner gegenwärtigen Rolle als US-Richter im
Bezirk Chicago am 18. November eine weitere Anklage erhob, die wie eine Bombe
einschlug: Er erhob Anklage gegen den früheren Vorstandsvorsitzenden der
Hollinger Corporation, Conrad Lord Black, in der er ihn in 11 Fällen des
Betrugs beschuldigte und einen internationalen Haftbefehl gegen ihn erliess.
Als Chef von Hollinger erwarb Black die «Jerusalem Post» und besass ein
Medienimperium, zu dem der ultrakonservative (tatsächlich aber neokonservative)
«Daily Telegraph» und Zeitungen in ganz Nordamerika gehörten, darunter Robert
Novaks Hauszeitung, die «Chicago Sun-Times», auf deren Basis Fitzgerald Black
verfolgen konnte. Erinnern wir uns: Es war Novak, der als erster die
Valerie-Plame-CIA-Geschichte durchsickern liess. Auch Richard Perle war
Mitglied im Verwaltungsrat von Blacks Hollinger Corporation und der «Jerusalem
Post».
Das Zusammentreffen all dieser Ereignisse veranlasste einige Beobachter zur
Vermutung, Fitzgerald werde von US-Geheimdienstkreisen unterstützt, die in
Opposition zu den Neo-Konservativen stehen, eine nicht ganz unwahrscheinliche
Möglichkeit.
Die Anklage Fitzgeralds gegen Black öffnet eine weitere üble Büchse der Pandora
mit geradezu radioaktiven Würmern für die Bush-Cheney-Administration. Blacks
Geschäftspartner Perle, der sogenannte «Prince of Darkness» (Prinz der
Dunkelheit), der in Washington als der wichtigste Mann bei der neokonservativen
Übernahme der Bush-Regierung gilt, ist selbst Ziel der Anklage wegen
krimineller Machenschaften geworden.
Der neue stellvertretende Generalstaatsanwalt und Staatsanwalt für Eastern
Virginia, Paul McNulty, hat Deals untersucht, in die das Pentagon, Boeing,
Perles Trireme Partners (eine gemeinsame Investmentfirma von Perle und
Kissinger) und Hollinger verwickelt sind. Als Vorsitzender des Defense Policy
Board (Verteidigungsrat) hat Perle der Air Force empfohlen, die Tankflugzeuge
von Boeing dem Airbus vorzuziehen. Seine Trireme Partner hatten einen enormen
Zuwachs an Boeing-Kapital erhalten. Der Prokurist der Air Force, Darleen Druyun,
und Vertreter von Boeing wurden von McNulty strafrechtlich verfolgt und des
Vertragsbetrugs schuldig gesprochen.
McNulty ist auch verantwortlich für die strafrechtliche Verfolgung der Vorgänge
um das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC, Amerikanisch-Israelisches
Komitee für öffentliche Angelegenheiten) und die undichte Stelle um den
früheren Nachrichtendienstoffizier bei der DIA (Defense Intelligence Agency),
Larry Franklin, über die geheimes Material über den Iran nach aussen drang.
Franklin und zwei weitere Vertreter von AIPAC wurden in diesem Falle angeklagt,
der Prozess dauert noch an. Franklin bekannte sich schuldig als Gegenleistung
für seine Kooperation gegen die AIPAC-Vertreter Steven Rosen und Keith Weissman
sowie bis anhin nicht benannte israelische Geheimagenten und andere
amerikanische Personen, darunter ein ranghoher Kollege und Iran-Experte in
einer Washingtoner «Denkfabrik».
Black verzichtete auf seine kanadische Staatsbürgerschaft, als er als «Lord
Black von Crossharbour» zum Mitglied des britischen Oberhauses gemacht wurde.
Der Haftbefehl für Black führte zur Veröffentlichung eines internationalen
Haftbefehls von Interpol, den Flüchtenden zu verhaften, da angenommen wurde, er
halte sich mit einem britischen Pass in Kanada auf. Der ehemalige US-Flüchtling
Marc Rich – der seinen Sitz als «schlafender Partner» von Perle und den
Washingtoner Neokonservativen in Zug (Schweiz) hatte und ehemaliger Kunde von
Scooter Libby ist – war ebenfalls Gegenstand eines internationalen Haftbefehls von
Interpol, bevor er von Präsident Clinton begnadigt wurde.
Im Jahre 2003 gab es Finanzabsprachen zwischen der Carlyle Group und Hollinger.
Die Carlyle Group ist eine der mächtigsten privaten Firmen, die den
Republikanern nahesteht. In ihrem Beirat sitzen Vater Bush, James Baker und
Frank Carlucci, der ehemalige Zimmergenosse von Rumsfeld in Princeton und
Ex-Verteidigungsminister. Aus Kreisen von Carlyle verlautete gegenüber dem
«London Observer»: «Im Idealfall erwerben wir einen 25- bis 40%igen Anteil [an Hollinger].
Das gibt uns die Möglichkeit, Leute für den Aufsichtsrat zu bestimmen.»
Es gibt noch eine weitere interessante Verbindung zwischen Fitzgeralds
Untersuchung der undichten Stelle im Weissen Haus und McNultys Untersuchung der
AIPAC-Spionage. Es stellte sich heraus, dass Fitzgerald die Reporter Glenn
Kessler und Walter Pincus von der «Washington Post» zur undichten Stelle bei
der CIA befragte.
Während die Aufmerksamkeit auf Woodward gerichtet ist, darf man Kessler nicht
aus den Augen verlieren, denn auch er wird in der AIPAC-Untersuchung erwähnt:
In einem Bericht der «Jewish Telegraph Agency», der über einen FBI-Mitschnitt
eines Gesprächs zwischen Kessler, Weissmann und Rosen im Juli 2004 berichtet.
Ein wilder Haufen Neokons?
Bushs Popularität ist laut der neuesten CNN/Gallup-Umfrage auf einem Tiefstand
von 37%. Er wird zu einer solch spürbaren Belastung in den Wahlkämpfen der
Republikaner, dass Kandidaten ihn bitten, nicht zu erscheinen. In den Wahlen
von Anfang November in den Bundesstaaten Kalifornien, Virginia, aber auch
andernorts erlitten die Republikaner signifikante Niederlagen. Bushs
Verbündeter, Tony Blair, erlitt mit seiner Anti-Terror-Gesetzesvorlage im
Unterhaus seine erste Niederlage überhaupt. Die von Bush angestossene Revision
des «Patriot Act» und sein damit verbundener Versuch, ihn auf unbeschränkte
Dauer zu verlängern, wurden im Kongress auf Eis gelegt.
In Israel entmachtete die Arbeiterpartei überraschenderweise den Verbündeten
Sharons, Shimon Peres, zugunsten des Histadrut-Arbeiterführers Amir Peretz,
dessen erste Handlung sein wird, die Koalition Sharons zu verlassen. Peretz ist
ein erbitterter Gegner von Benjamin Netanyahu, dem Verbindungsmann zwischen dem
Likud-Block und den Neokons.
Unklar ist, ob und gegebenenfalls was gegen den engen Verbündeten Netanyahus in
Frankreich, Innenminister Sarkozy, unternommen wird.
Deutlich wird bei alledem aber, dass es sich nicht um eine normale Serie von
Skandalen handelt. Es handelt sich um einen umfassenden Flügelkampf – ähnlich
dem seinerzeitigen Kampf zwischen Kissinger und Nixon während der
Watergate-Affäre. Er wird mit Sicherheit in den nächsten Monaten eskalieren.
Schon heute wird der Ruf laut, Cheney solle zum Wohle des Landes zurücktreten.
Im Laufe dieser Entwicklung werden mit Sicherheit weitere Erschütterungen
eintreten, die zu einer Lähmung der Präsidentschaft Bushs führen könnten, die
noch drei Jahre vor sich hat. Dass mit dem Amtsantritt des neuen
US-Notenbankchefs Bernanke im Januar eine richtiggehende Dollarkrise im Jahre
2006 mehr als nur möglich ist, wird immer wahrscheinlicher.
Aus: Zeit-Fragen vom 12.12.2005